Zum Inhalt springen

Pfarrkirche Sankt Sebastian

Kirche St. Sebastian

1947 hatte man den Standort für die Kirche auf der Ahornstraße festgelegt. Vier Jahre später wurden zwei Architekten, Dr. Morgenroth und Baurat A. Leitl, aufgefordert, Pläne für die neue Kirche vorzulegen. Am 8. Februar 1952 entschied man, den Plan von Baurat Leitl umzusetzen, mit den Bauarbeiten wurde am 26. Oktober 1952 begonnen. Am Ostermontag, dem 6. April 1953, segnete Weihbischof Dr. Hünermann den Grundstein der neuen Pfarrkirche. Der Stein stammte aus der "Mutterkirche" Heilig Kreuz, der bei einem Bombenangriff aus der Kirche Heilig Kreuz herausgerissen wurde.

Ein Jahr vor der Fertigstellung beginnt man mit dem Gießen des Betondachs, das aufgrund seiner Wellen der Kirche später den Namen "St. Lockwell" einbringt. Am 7. August 1954 benediziert Pastor Gerads die neue Kirche St. Sebastian und die erste heilige Messe wird mit der Gemeinde gefeiert.

1990 wird die Kirche St. Sebastian wird unter Denkmalschutz gestellt (Zitat Denkmalamt: „Eine der bedeutendsten Nachkriegskirchen des Rheinlandes.”). Die Kirche ist ein Zeugnis für den Umbruch in der Gesellschaft und dem zufolge auch in der Architektur.

Geprägt ist dieser Wandel im Wesentlichen von 3 Geschehnissen:

  1. Nach dem Krieg gab es einen erstarkten Gemeinschaftssinn in der Gesellschaft.

  2. Die moderne Architektur mit neuen Baustoffen setzt sich mehr und mehr durch.

  3. In der katholischen Kirche gab es die liturgische Bewegung.

Architektur

In den 50er Jahren, zur Planungsphase der Kirche, ist die Architektur und im Besonderen die Sakralarchitektur im Umbruch. Bedeutende Architekten haben schon zwischen den Weltkriegen begonnen, einen neuen Weg einzuschlagen. Zu nennen für Deutschland sind vor allem Dominikus Böhm und Rudolf Schwarz.

Der Jugendstil mit seiner romantischen Verspieltheit war überwunden – eine neue Sachlichkeit war gefragt. Man kann von einer Gegenbewegung sprechen.. Der deutsche Werkbund und resultierend das Bauhaus zeigten ihre Prägung mit dem neuen Stil. Die modere Kunst und Architektur war geboren.

Die neue Gesinnung war: Vereinfachung auf das Wesentliche, für den Kirchenbau bedeutete dies sakrale Sachlichkeit. Das Anliegen wird in einem Ausspruch von Rudolf Schwarz deutlich: „Wir können nicht fortsetzen, wo die alten Dome aufgehört haben, sondern müssen einkehren zu den einfachen und ursprünglichen Dingen des christlichen Lebens.”

St. Sebastian Innenraum

Kirchenraum

Betreten der Kirche durch Rundbogen-Eingangsbereich, sowohl im Grundriss wie im Dachverlauf konisch zulaufend. Gleich einem Trichter wird man in die Kirche gezogen.

Innenraum, fast ein Einraum mit Hallencharakter. Ein Dach, das die Gemeinde überspannt. Die Gemeinde soll sich als Gemeinschaft fühlen. Keine Seitenschiffe, die teilend wirken. Dieser Denkansatz geht auf die liturgische Bewegung zurück.

Grundriss ist ein Quadrat (Gemeinde + Chor), geometrisches ‚Grundprinzip. Auch typisch für die angestrebte Sachlichkeit durch Reduzierung auf klare Formensprache. 2/3 Fläche für die Gemeinde - Rechteck zur üblichen Ausrichtung um 90° gedreht. 1/3 Fläche für den Altarbereich.

Dadurch wird eine auf den Altar bezogene Raumordnung erreicht. Für die liturgische Bewegung ist der Altar mit der Eucharistiefeier der Mittelpunkt des Gemeinschaftserlebnisses Messe. Eine weitere Dominanz des Altars, als Mittelpunkt der Liturgie, drückt sich in der Erhöhung des Altarbereiches und der Lichtführung aus. - Großes Fenster, das den Altarbereich erhellt, Fenster im Chorbereich - heute durch neue eingezogene Decke nicht sichtbar.

Der Altar selbst ist nun nicht mehr der Thron Gottes, der reich ausgestattet und verziert war, sondern Tisch des Herrn, wo immer wieder sein Opfer zelebriert wird.(Lith.Bew.) Ursprünglich gab es zu beiden Seiten des Altars im Anschluss Kommunionbänke, die den Altar verlängerten. Dies jedoch bedeutete eine Art Trennung von der Gemeinde, darüber hinaus kam es zu Unfällen im Grenzbereich, die schließlich zum Abbau führten.

Die immer wieder angestrebte sakrale Sachlichkeit wurde baubar durch neue Baumaterialien, allen voran der Stahlbeton, der weitgespannte, offene Hallen erst möglich machte.

Kirche St. Sebastian

Tragwerk

Den Hallencharakter finden wir zu dieser Zeit oft. Das Material Stahlbeton ermöglicht es große, stützenfreie Räume zu schaffen. Für die Kirche wurde aber abgrenzend ein sakraler Anspruch erhoben, der über das Zweckmäßige hinausgehen sollte. Der Architekt hat dies durch die wellenförmige Dachstruktur zum Ausdruck gebracht, die dem eher nüchternen Werkstoff eine bewegte und lebendige Form verleiht. Gleich den Wellen des Lebens, auf denen wir mal oben, mal unten treiben – (eine mögliche Interpretation der Symbolik).

Spitzname: Lockwell bzw. Ondulata

Neben der Symbolik gibt es aber auch handfeste statische Vorzüge. Architekt Leitl hat 1949 mit der Kirche St. Martin in Aldenhoven bei Jülich die erste Schalenbetonkirche Deutschlands gebaut.

In St. Sebastian ist das Tragwerk eine Fortsetzung seines Weges, neuartige Dachstrukturen zu entwickeln. Die Formensprache von Bogen / Welle hat er weitergeführt.

Was sind die Vorzüge einer Welle, wenn man eine große Spannweite überbrücken möchte?

Tragwerkplanung / Statik: Prof. Hirschfeld, RWTH Aachen, Fakultät Bauingenieurwesen.

Außergewöhnliche Spitzenleistung bei den Rohbauarbeiten: Betonwelle in einem Zug innerhalb von 36 Stunden ohne Pause betoniert (13. u. 14.08.1953).

Fachwerkträger

Der Fachwerkträger aus Stahlbeton ist erst auf den 2. Blick erkennbar. Er liegt auf gleicher Höhe zur Dachwelle (Obergurt = Oberkante Welle und Untergurt = Unterkante Welle). Somit tritt dieses Haupttragelement (hohe Belastung aus Wellen- u. Tonnendach) geometrisch und optisch in den Hintergrund. Aufgelagert ist dieser Träger auf 4 Punkten mit statisch optimalen Spannweiten: Ein großes Mittelfeld und zwei kürzere Endfelder. Diese „Öffnungen” entsprechen auch der Nutzung.

In der Mitte die große sich öffnende Geste, die von den zwei Stahlbetonstützen gerahmt wird und den Blick zum zentralen Handlungsort leitet. Diese Stützen sind sehr schlank. Nach oben hin verjüngen sie sich leicht im Durchmesser, der sich wiederum zum Ende leicht (fast kelchförmig) aufweitet. Auf den Stützenköpfen liegen kleinere (quadratische?) Auflagerelemente, die eine Schattenfuge zwischen Stütze und Fachwerkträger bilden. Die Lasten und das Tragen sind hier scheinbar getrennt – optisch schwebt fast der Fachwerkträger. Gemeinsam mit der kelchförmigen Ausbildung bildet das Distanzelement (Fuge) eine moderne Interpretation des Stützenkopfmotivs.

Tonnendach

St. Sebastian Innenraum

Das Tonnendach über dem Altarbereich: Leitl schafft durch die Überhöhung eine Betonung. Der Formenkanon wird beibehalten (Welle / Bogen, Eingang). Gleichzeitig bildet es eine große Fensterfläche zur Westseite nach historischem Vorbild, die den Altarbereich aufhellt.

Symbol = Unser Weg führt ins Licht (Lumen Christi)

Formbedingte akustische Probleme: Schallrichtung nur in einer Achse mit Flatterecho im Tonnenbereich. Deshalb musste eine Schallrefflektionsdecke eingezogen werden. Der Schall wird nun zum Teil in den Gemeindebereich (Wellendecke) umgeleitet. Diese bauliche Ergänzung kommt dem Einraumcharakter zu Gute.

Seitenkapelle

Zur Abgrenzung gegenüber dem Hauptraum ist die Decke deutlich niedriger gehalten, und somit der intimere Charakter hervorgehoben. Die Stellung der im Grundriss rechteckigen Stützen unterstreichen diese Haltung (in Längsrichtung = Geschlossenheit / senkrecht zur Raumachse = Transparenz, Verbindung zum Hauptraum.

Taufkapelle

Taufkapelle, Verlängerung der Seitenkapelle, im Schnittpunkt der beiden Eingänge. Zwei Stufen tiefer gelegt als Symbol des „Beckens”. Fenster der Taufkapelle (Fische) und über dem Haupteingang (Lamm): Anton Wendling (u.a. Hochschuldozent RWTH Aachen, Fakultät Architektur), zählt zu den herausragenden Künstlern der Glasmalerei des 20. Jhd.

Künstler Wendling und Pfarrer Gerads haben sich in zwei Fischen verewigt. Wer genau hinsieht, der findet ein W für Wendling und ein G für Gerads.

St. Sebastian Fischfenster Detail
Fischfenster
St. Sebastian Fischfenster Detail